1. Definition, Herstellung von Steinzeug Steinzeug besitzt ähnlich wie Porzellan einen „dichten Scherben“ und sollte nicht mit dem deutlich jüngeren Steingut verwechselt werden, das zu den porösen Waren gehört.[1] Für die Dichtheit ist der Prozess des Sinterns ausschlaggebend, bei dem die plättchenförmigen Tonminerale (z.B. Kaolinit) durch das Entweichen des im Gefüge enthaltenen Kristallwassers „ineinander sinken“ und zu völlig neuen Stoffen umgewandelt werden.[2]
Dieser Vorgang beginnt im Töpferofen bei einigen hundert Grad, für ein restloses Verschwinden der Poren sind allerdings über eine längere Brenndauer hinweg Temperaturen von 1200-1300°C nötig, die nur spezielle steinzeugfähige Tone mit einem sehr hohen Schmelzpunkt aushalten. Das moderne Definitionskriterium bedingt eine Restporosität von unter 2% – also eine fast vollständige Sinterung – während im archäologischen Kontext von Steinzeug gesprochen wird, sobald klar ist, dass eine vollständige Sinterung intendiert war (Wasseraufnahmefähigkeit manchmal bis 10%, gutes Siegburger Steinzeug 0.4%).[3] Die daraus resultierenden Eigenschaften des Steinzeugs sind neben Wasserundurchlässigkeit weitgehende Säurefestigkeit, Stoßunempfindlichkeit , eine Härte, die diejenige von Stahl übertrifft, ein muscheliger Bruch sowie eine helle Färbung (weiß, grau, braun) . Aufgrund der großen Dichte ist Steinzeug allerdings hitzeempfindlich und würde beim Kochen zerspringen, weshalb es vorwiegend für Aufbewahrungs- und Flüssigkeitsbehälter sowie Trinkgefäße eingesetzt wurde.[4] Da die feinen, hochplastischen Steinzeugtone nur selten oberflächennah anstehen, entstanden die ersten Produktionszentren um die großen Lagerstätten etwa im Rheinland und später im Westerwald. Abgebaut wurde je nach Produktionsstätte sowohl im Tagebau (z.B. Siegburg) als auch im Untertagebau aus runden Schächten bzw. später glockenförmigen Hohlräumen. Die sorgfältige Weiterverarbeitung zur Erhöhung der Bildsamkeit umfasste das Sommern bzw. Wintern (Zerfall durch Lagerung im Freien), das Schlämmen in Holzkästen, das Zerschneiden mit Draht, die Lagerung unter Luftabschluss (org. Material von anaeroben Bakterien zersetzt) und ein mehrmaliges Kneten. Bei Bedarf wurde auch gemagert.[5] Nach der Formung des Gefäßes auf der schnelldrehenden Töpferscheibe wurden mit Formhölzern Verzierungen angebracht und im lederharten Zustand Handhaben, Tüllen, Wellenfüße sowie Applikationen angarniert. Kleine Fingerabdrücke belegen, dass der Weitertransport in den Trocknungsraum häufig von Kindern erledigt wurde.[6] Gebrannt wurde in liegenden Öfen, bei denen der Brennraum hinter der tiefer gelegenen Feuerungskammer liegt. Zumeist wurden sie aus Ziegeln errichtet, ältere Exemplare auch aus Steinzeugton, während zur Isolation eingebaute Gefäße eher auf eine neuzeitliche Einstufung deuten. Ein Beispiel des 12/13. Jahrhunderts aus Brunssum (Nl) weist einen langen überwölbten Heizkanal auf, der an seinem Ende durch eine Zunge von weicher, fließender Form geteilt wird. Auch im Ofen selbst finden sich dort keine scharfen Winkel, was eine gleichmäßige Strömung der heißen Gase ermöglichte, die als zusätzliche Heizung durch das Brennkammergewölbe abgeleitet wurden. Ein anderer Ofen aus Langerwehe aus der Zeit um 1400 mit einer Länge von 7.6m und einer Breite von 2.4m zeigt einen von der Arbeitsgrube aus ansteigenden Brennraumboden, der von drei aus Tonstehern gefügten und mit Krummsteinen überwölbten Zügen unterfangen ist. Zwischen Feuerung und Brennraum angebrachte Gitterwände aus Ziegeln oder Schammotten sollten vor direktem Kontakt der Flamen mit dem Brenngut schützen. Der Ofen ist nach hinten zu verengt, um bei geöffnetem Kamin eine Geschwindigkeitszunahme der Gase respektive eine bessere Sogwirkung zu erzeugen. [7] Eine homogene Atmosphäre war trotzdem kaum zu erreichen, während die Qualitätsobjekte in der Ofenmitte platziert wurden, befand sich die einfache Gebrauchsware im vorderen Bereich, hinten eventuell auch Irdenware. Gebrannt wurde z.B. im Siegburg des 16. Jahrhunderts durchschnittlich drei bis vier Mal pro Jahr, wobei mit jeweils einer Woche für das Stapeln und Bergen der Ware, vier Tagen durchgehender Feuerung sowie einer Woche für die Abkühlung gerechnet werden musste. Verfeuert wurde Holz, wobei erst aus dem 18. Jhdt. aus dem Westerwald Mengenangaben überliefert sind (27m3/Brand).[8] Die typische Oberflächenbehandlung des Steinzeugs ist die Salzglasur, bei der beim Brand bei höchstmöglicher Brenntemperatur ungefähr 10kg NaCl pro Kubikmeter Ofenvolumen eingeworfen werden, dessen Chloridanteil sofort als Salzsäure in Form ungesunder weißer Dampfwolken entweicht. Das Natriumoxid reagiert hingegen mit den Tonmineralen zu einem farblosen Natriumaluminiumsilikatglas.[9] Für die Lehmglasur wird vor dem Brand eine Engobe (dünnflüssiger Tonschlicker) aufgebracht, während die Ascheanflugglasur (Flammung) zufällig durch aus dem Brennholz verflüchtigte Kalium-Oxid Salze an nur wenigen Gefäßen pro Brand entstand. Letztere sieht ähnlich aus wie eine Bleiglasur, die beim Steinzeug nur in Sonderfällen sekundär fernab des Herstellungsortes aufgetragen wurde.[10] Berühmt ist die neuzeitliche Produktionsstätte Creussen, wo mit einem zweiten Brand bei niedrigeren Temperaturen Emailfarben aufgebracht wurden. Es gab aber auch Applikationen aus Holz, Zinn sowie anderen Metallen.[11]
2. Produktionsstätten 2.1. Protosteinzeug Das Rheinland ist das Ursprungsgebiet der europäischen Steinzeugproduktion, allerdings ist ungeklärt, an welchem Ort und wann genau sich diese technologische Entwicklung vollzogen hat. Das Protosteinzeug des 13. Jahrhunderts gehört zu einer Experimentierphase von unterschiedlicher Dauer und Intensität mit variablen Brenntechniken und ohne stringente Formentwicklung, ist allerdings durch die Teilsinterung des Scherbens durch höhere Brenntemperatur und längere Brenndauer deutlich von der hartgebrannten Irdenware abgesetzt. Die Änderung der technologischen Parameter ist auch bereits an formale Änderungen gekoppelt, die Aufspaltung in Irdenware als Kochgeschirr und (Proto-)Steinzeug als Trink- bzw. Schankgeschirr führt bei letzterem zur Gefäßstrukturierung durch Drehrillen, Riefen, Horizontalwülste und Wellenfüße. Auch die Steinzeugvorstufen wurden schon exportiert.[12] 2.2. Siegburg (Rheinland) Die Siegburger Produktion dürfte bereits vor 1300 nach einer Phase mit Protosteinzeug begonnen haben. Hauptabnehmer waren die Kölner Kaufleute, wobei interessanterweise aber auch die Töpfer selbst nicht nur im Regional-, sondern auch im Fernhandel aktiv waren. Sehr umfangreiche Funde von der Ausgrabung des Scherbenhügels in der berühmten Aulgasse in den 60ern – ca. 2 Mio. Fragmente und 8000 ganze Gefäße – lassen detaillierte Aussagen zu. Es zeigt sich, dass die Zahl der intentionellen Variationen bei Betrachtung der Gesamtproduktionszahlen auffallend gering ist, die Variabilität in der Exaktheit der Ausführung aber umgekehrt sehr groß – beides sind Anzeiger für Massenproduktion.[13] Charakteristisch ist ein weißlicher, manchmal grünstichiger Scherben mit hellgrauer oder gelbgrauer Oberfläche. Auch eine orangerote bis dunkelrote Flammung ist immer wieder anzutreffen. Alle mittelalterlichen Gefäße besitzen einen Wellenfuß, der in der typischen Siegburger Ausprägung mit ausgewölbtem und verstrichenem Boden[14] ein zuverlässiges Unterscheidungskriterium gegenüber anderen Produktionsorten ist. Er wurde durch das Ansetzen eines zusätzlichen Tonwulstes erzeugt. Leitformen sind Zylinderhalskrüge in verschiedenen Größen sowie Einhenkelkrüge mit schwach einziehendem Hals und flachem Dornrand. Im 15. Jahrhundert wird neben Trichterhalsbecher und Trichterhalskrug die Jacobakanne typisch, die eine schlanke Form mit Wellenfuß sowie einen konisch erweiterten Hals über einem schmalen, umlaufenden Grat aufweist,[15] in geringem Umfang treten in dieser Zeit auch Gesichtsgefäße sowie kleine Reliefauflagen (u.a. Nachahmungen von Münzen und Siegeln) auf.[16] Im 16. Jahrhundert kommt es zur Blüte der Siegburger Produktion, es ändert sich die Scherbenqualität (oft weißliche bis gelbliche Oberfläche) und – wie auch in allen anderen steinzeugproduzierenden Orten dieser Zeit – das Formenrepertoire. Wichtige Erzeugnisse sind nun die Pulle (eine kugelige Flasche) und die Schnelle (ein annähernd zylindrischer Krug mit drei hohen Reliefauflagen zwischen den Wulstringen, die Motive aus Mythologie und Bibel zeigen). Das Ende von Siegburg markiert die Zerstörung der Stadt durch die Schweden im Jahr 1632.[17] 2.3. Brühl und Langerwehe (Rheinland) Das Brühler Steinzeug mit gelblichem Scherben wird aufgrund seiner Ähnlichkeit zu den Siegburger Erzeugnissen häufig nicht erkannt. Die Unterscheidung ist aber anhand der in der Mitte eingekehlten und randlich etwas erhöhten Henkel möglich, sowie am flachen Boden bzw. der annähernd dreieckigen Kehlung zwischen Bodenplatte und angesetztem Wellenfuß. Exportiert wurden vor allem Zylinderhalskrüge und Einhenkelkrüge.[18] Für Langerwehe ist eine dunkelbraune oder dunkelviolette Engobe typisch, die den mittelgrauen Scherben optisch überdecken sollte, später wurde oft auch Salzglasur eingesetzt. Ein Hauptmerkmal ist der Dreiecksrand mit gewölbter Oberseite. Der ausgeprägt strukturierte Wellenfuß ist im Gegensatz zu Brühl oben und am äußeren Ende gerundet, so dass die Welle in der Seitenansicht geschlossen wirkt, und der Querschnitt zwischen Wellenfuß und Boden ist längsoval.[19] 2.4. Köln und Frechen (Rheinland) In Köln wurde ab der Mitte des 15. Jahrhunderts Steinzeug hergestellt, das sich im 16. Jahrhundert durch kunstvolle Reliefauflagen wie verzweigte Ranken, Blätter und Blüten auszeichnete. Charakteristisch sind die sog. Bartmannskrüge, die eine kugelige Grundform und einen engen Hals mit einem bärtigen Gesicht aufweisen. Da die Kannenbäcker in Köln wegen den Chlordämpfen von der Salzglasur und der Feuergefahr sehr unbeliebt waren, wanderten sie nach Frechen oder Raaeren ab. Das Frechener Steinzeug ist dementsprechend dem Kölner sehr ähnlich, wobei die älteren Bartmannskrüge einen runden und die jüngeren einen eckigen Bart besitzen, der nach 1600 zu einem Ornament erstarrt.[20] 2.5. Raaeren und Aachen (Belgien, Rheinland) Das Raarener und Aachener Steinzeug geht auf einen Zusammenschluss mehrerer Töpferorte im zweiten Viertel des 15. Jahrhundert zurück. Es ist dunkelgrau mit meist hellgrauer Oberfläche, wobei das wichtigste Kennzeichen die intentionelle Salzglasur ist. Produziert wurden vor allem Einhenkelkrüge mit Dornrand sowie Fußtöpfe mit ausbiegendem Rand. Um 1570 wurden Bilderkrüge entwickelt, die auf der Mittelzone des Gefäßkörpers ein umlaufendes Relieffries mit Inschriften oder Sinnsprüchen zeigen, im Gegensatz zu Siegburg mit profanen Motiven (Kurfürsten-, Bauerntanz-, Pelikan- und Wappenkrüge). Am Ende des 16. Jahrhunderts wurde der oxidierende Brand vom Reduktionsbrand abgelöst, der mit einer dunkleren Oberfläche die Grundlage für die Bemalung mit Kobaltblau liefern sollte, eines Steinzeugtyps, der im 17. und 18. Jahrhundert dem Westerwald zu einer marktbeherrschenden Stellung verhalf.[21] 2.6. Dreihäuser Art (Hessen) Von dieser Produktionsstätte sind vor allem die Vierhenkelkrüge und die Ringelkrüge des 16. und 17. Jahrhunderts bekannt, die mit zahlreichen von Henkeln und Ösen gehaltenen Ringen versehen sind. Andere Formen – es dürfte in Hessen auch im Mittelalter produziert worden sein – sind weniger gut erforscht.[22] 2.7. Waldenburg (Sachsen) und Niedersachsen Das Waldenburger Steinzeug ist formal stark an Siegburg angelehnt, lässt sich aber vor allem anhand des Wellenfußes eindeutig unterscheiden. Dieser wurde nicht angesetzt, sondern aus dem Gefäß herausmodelliert, während es noch auf der Scheibe stand. Durch die Schrumpfung beim Trocknen ist der Standboden mitunter trotzdem ausgewölbt, er wurde aber nicht verstrichen und es sind Spuren vom Abschneiden von der Scheibe sichtbar. Ab der Mitte des 14 bis ins 15. Jahrhundert finden sich vor allem Jacobakannen, die manchmal mit einer frei geformten Gesichtsdarstellung verziert sind, aber auch Henkelbecher. Bis ins 16. Jahrhundert laufende Formen sind bauchige Krüge und Kannen mit einem durch Leisten profilierten Hals sowie Zylinder- und Trichterhalsgefäße mit Rollstempelzier auf dem Standfuß.[23] Ein für Waldenburg spezifisches Produkt ist das Igelgefäß mit flächendeckenden stachelartigen Applikationen, für das eine medizinische Verwendung im Raum steht (Vermeintliche Resistenz dieses Tieres gegen Schlangengift).[24] Ab dem 15. Jahrhundert finden sich auch Feldflaschen mit einem abgeflacht-kugeligem Körper sowie ab der Renaissance Scherzgefäße und diverse Formen mit Reliefdekor (Bienenkorbhumpen, …). Die Produktion in Waldenburg lief bis ins 19. Jahrhundert weiter, wobei zuletzt nur mehr technische Keramik und Tonpfeifen gefertigt wurden.[25] Auch in Südniedersachsen wurde im 14. Jahrhundert in einigen Orten (Bengerode, Coppengrave, Duingen), deren Erzeugnisse bis jetzt nicht sicher zu unterscheiden sind, graues bis hellgraues Steinzeug mittelmäßiger Qualität hergestellt, das fast immer rot engobiert ist und dem Waldenburger Steinzeug ähnelt, allerdings durch Wülste gegliedert ist.[26] 2.8. Falke-Gruppe Lausitz (Sachsen) Diese nach dem ersten Bearbeiter Otto v. Falke benannte Steinzeuggruppe hat neuesten Vermutungen zufolge ihren Ursprung in der Region um Zitau. Es handelt sich um eine Ware mit mittel- bis dunkelgrauem Scherben und einer stark eisenhaltigen Engobe, die recht exotisch mit figürlichen Auflagen und Stempeldekor versehen ist. Die hohe Wertschätzung der Objekte, die in die 1. Hälfte des 15. Jahrhunderts zu stellen sind, ist an oft teuren Metallfassungen und der Aufbewahrung in Schatzkammern zu erkennen. Die Matrizen für die Verzierungen könnten von Metallschmieden stammen.[27] 3. Kulturhistorische Aussagen 3.1. Handwerksgeschehen Wie in alle spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Handwerke waren auch die Töpfer einem strengen Zunftreglement unterworfen, das zum Beispiel im Fall von Siegburg historisch überliefert ist. So erfahren wir etwa, dass für die siebenjährige Lehrlingsausbildung keine ortsfremden geheimnisgefährdenden Personen in Frage kamen, und die Arbeit im Winter und bei Kerzenlicht verboten war.[28] Belegt sind auch drei Qualitätsstufen für Handel und Export, die allerdings erst durch Analysen des Fundgutes genauer umschrieben werden konnten: Die erste Stufe umfasste optisch einwandfreie Gefäße von guter Verarbeitung oder mit Flammung, die zweite billigere auch Behältnisse mit leichten Schäden, die aber trotzdem noch voll funktionstüchtig sein mussten. Es zeigt sich, dass diese weniger qualitativen Gefäße im Regionalhandel untergebracht wurden, da sie im Fernhandeln keinen Abnehmer mehr gefunden hätten. Die dritte Qualitätsstufe wanderte auf die Deponien (Löcher/Risse in der Wandung, aneinandergebacken, … nicht mehr funktional). Bei den Ausgrabungen im Scherbenhügel in der Aulgasse wurde aber auch eine erhebliche Zahl vollständiger Gefäße gefunden, deren Deponierung mit dem Verstoß gegen Zunftrechte erklärt wird. Die Töpfer dürften sich nicht getraut haben, die Stücke wieder von der Halde zu holen.[29] 3.2. Handel und Kontakte Da die Hauptmasse des im Fundgut niedergeschlagenen Steinzeugs von wenigen Produktionsstätten stammt, lassen sich über die entsprechenden Verbreitungskarten die geschlossenen Märkte des Mittelalters, die keine beliebigen Warenströme erlaubten, gut darstellen.[30] Vor allem die Hanse hatte ab 1300 im Ostseeraum über Kölner Kaufleute einen wesentlichen Anteil am Steinzeughandel, ab dem 14. Jahrhundert wurden auch sehr große Mengen an Trinkgeschirr nach Großbritannien exportiert, wobei London als Verteilerzentrum fungierte. Verhandelt wurde dabei das Gefäß und nicht ein etwaiger Inhalt![31] Außerdem ist auch der Einfluss der Formen auf die lokalen Märkte und Handwerker nicht zu unterschätzen, so gibt es etwa aus Glas nachgeformtes Steinzeug oder beispielsweise aus Wien einen Trichterhalsbecher aus spätmittelalterlicher, oxidierend gebrannter Irdenware.[32] 3.3. Verwendung: Steinzeug als soziales Medium Über den genauen Gebrauch von Steinzeug geben neben den archäologischen Quellen auch Haushaltsinventare und zeitgenössische Darstellungen Auskunft. So spielt etwa Steinzeug in niederländischen Gemälden des 15 u. 16. Jahrhunderts in Essensszenen eine Hauptrolle. Dies steht in engem Zusammenhang mit der Verbesserung der Lebenskonditionen von Handels- und Handwerksschichten in Nordeuropa in dieser Zeit, die zu einer Formalisierung der Essgewohnheiten führte, bei denen nun auch spezialisierte Trinkgefäße notwendig waren. Aufgrund der weiten Verbreitung von Steinzeug in gehobenen spätmittelalterlichen Milieus lässt es sich nahezu als eine Art Index für den Lebensstandard und das Sozialverhalten heranziehen. In der Neuzeit erlaubte die flexible Matrizentechnik eine weitere Differenzierung, da je nach Ausführung sowohl eine billige Massenproduktion als auch sehr qualitative Arbeiten zur Verfügung standen. Mit diesem Schritt entwickelte sich Steinzeug außerdem zur Kunstform, die zusätzlich für religiöse und politische Propaganda verwendet wurde. Eine besonders hohe Wertschätzung kam Steinzeuggefäßen in Großbritannien zu, wo sich immer wieder auch Reliquiar- oder sogar Ritualverwendungen (gegen Hexen mit Fingernägeln, Nadeln etc. beim Haus vergraben) nachweisen lassen. Die Bartmannskrüge (greybeards) wurden auf der Insel als Karikatur von Kardinal Bellarmine angesehen. [33] In Österreich sowie Ungarn und Tschechien findet sich rheinisches und sächsisches Steinzeug ab dem 15. Jahrhundert, wobei vor allem der Einfluss von Siegburg und Waldenburg fassbar ist. Vorrangig anzutreffen sind Trichterhalsgefäße in den Händlerhäusern, Burgen, Klöstern und königlichen Palästen, auf späteren high-status-sites auch reich verziertes Renaissance-Geschirr. Verbreitet ist im 15. Jahrhundert bei uns außerdem die nordmährische Lošticer-Ware, die mit einem blasigen rötlichbraunem Scherben zum Faststeinzeug gehört und auf der Schulter zahlreiche englichtige Henkel trägt.[34] 4. Zusammenfassung Im Rahmen des Referates wurde nach einer begriffliche und herstellungsspezifische Aspekte umfassenden Einleitung vor allem auf die verschiedenen Produktionsstätten von Steinzeug, sowie auf ihre Unterscheidungsmöglichkeiten eingegangen. Anhand der Gefäßformen der verschiedenen Orte wurde gleichzeitig auch die Typologie und Chronologie von Steinzeug veranschaulicht, die vor allem am Umbruch zur Renaissance einen charakteristischen Wandel durchmacht. Auf dieser Basis wurde danach auf diejenigen kulturhistorischen Dimensionen dieses Fundstoffs eingegangen, bei denen die Archäologie einen Beitrag leisten kann. Ausgelassen wurde im Wesentlichen die Zeitspanne von 1600 bis heute, weshalb auch der einzige österreichische Produktionsort bisher keine Erwähnung gefunden hat, was abschließend passieren soll: Maireck (OÖ nahe an der bayrischen Grenze, 19. Jahrhundert)![35] 5. Literaturverzeichnis I. Bauer, Handbuch und Führer zum Keramikmuseum Schloß Obernzell. 2. Auflage, München 1983. Ingolf Bauer et al., Leitfaden zur Keramikbeschreibung, (Mittelalter-Neuzeit), Terminologie-Typologie-Technologie, Kallmünz 1987. B. Beckmann, Der Scherbenhügel in der Siegburger Aulgasse Band 1. Rheinische Ausgrabungen 16, Bonn 1975. G. Drews, Entwicklung der Keramik-Brennöfen. In: Acta Praehistorica et Archaeologica 9/10, Berlin 1979, 33-48. C. Frieser, C. Trummer, Ausgrabungen in der Töpferstadt Waldenburg. 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Stephan, Steinzeug und Irdenware: Diskussionsbeitrag zur Abgrenzung und Definition mittelalterlicher deutscher Steinzeuggruppen. In: BAR International Series 440, 1988, 81-117. [1] Scharrer-Liška 2004, 92. [2] Schifer 2003, 115. [3] Bauer 1983, 83; Roehmer 2001, 467 f, 535; Scharrer-Liška 2004, 92. [4] Scharrer-Liška 2004, 92. Stephan 1988, 82. [5] Gaimster 1997, 32 f; Roehmer 2001, 465, 467; Schifer 2003, 60. [6] Gaimster 1997, 35 f, 48. [7] Schifer 2003, 112-115; betreffend Brunssum Drews 1979, 46. [8] Gaimster 1997, 32 f, 46-49; Schifer 2003, 114 f. [9] Schifer 2003, 123, 126 f. [10] Gaimster 1997, 40-48; Roehmer 2001, 469; Scharrer-Liška 2004, 92. Schifer 2003, 128 f. [11] Scharrer-Liška 2004, 31; Beckmann 1975, 13. [12] Roehmer 2001, 467-468, 472-473.. [13] Beckmann 1975, o.S., 6-7. [14] Schifer, 21. [15] Roehmer 2001, 471-482, 536. [16] Gaimster 1997, 37-40; Gaimster/Stephan 2002, 108, 113. [17] Scharrer-Liška 2004, 9-11. [18] Roehmer 2001, 483-492, 536. [19] Roehmer 2001, 493-501, 536. [20] Scharrer-Liška 2004, 13-16. [21] Roehmer 2001, 537; Scharrer-Liška 2004, 17-23. [22] Gaimster 1997, 299. [23] Roehmer 2001, 527-535, 538; Schifer 2003, 13-23. [24] Schifer 2003, 24. [25] Frieser/Trummer 1994, 121; Scharrer-Liška 2004, 36; Schifer 2003, 33, 38. [26] Roehmer 2001, 517-527, 536. [27] Gaimster 1997, 37; Gaimster/Stephan 2002, 107-164. [28] Schifer 2003, 6 f. [29] Roehmer 2001, 469-471. [30] Roehmer 2001, 465. [31] Gaimster 1997, 51-97. [32] Gaimster 1997, 135. Zum Trichterhalsbecher Felgenhauer-Schmiedt 1982, 87, Nr. 113. [33] Gaimster 1997, 115, 126 -154. Zu den Bartmannskrügen vgl. Farlex, greybeard. Online im Internet: http://www.thefreedictionary.com/greybeards [26.2.2008]. [34] Gaimster 1997, 63 f, 307 f. [35] Bauer 1983, 86. |
Abbildungen siehe Download: 2007-WS-BU-Mittelalter-Maurer-Jakob-Steinzeug.pdf (1004 Downloads)