2007 Fußbecher aus Keramik mit sekundär durchbohrter Standfläche (Niederkraig)

1) Funktionale Ansprache, TypBei  Bechern handelt es sich um Trinkgefäße, bei denen die Gefäßhöhe den Mundsaumdurchmesser übertrifft und die Fußzone häufig besonders betont bzw. ausgeprägt ist. Da diese im gegenständlichen Fall in einen gewölbten Gefäßkörper mündet, kommt die Bezeichnung „Fußbecher“ zum tragen, wobei die Ansprache nicht weiter präzisiert werden kann, da aufgrund des fragmentarischen Erhaltungszustands keinerlei Informationen zur Randgestaltung vorhanden sind. Mit Auszipfelungen würde es sich um einen Mündelbecher handeln.[1] Offensichtlich auf eine sekundäre Funktionsänderung geht die Durchlochung des Standbodens zurück.

2) Beschreibung des Objekts[2]

Fragmentiert; leicht aufgewölbter Standboden, konkav eingezogener Gefäßunterteil mit leicht ausgeprägtem Fuß und ausladendem Ansatz zum Bauchbereich. Auf dem Fuß spiralig aufgedrehte sechsfach eng übereinandergelegte Furche[3] mit dreieckigem, 0.2-0.3 cm breitem Querschnitt. Vertikale Überschneidung (Gliederung) dieser bis zu 2.6 cm hohen Furchenverzierung durch ursprünglich elf in etwas unregelmäßigem Abstand angebrachte senkrechte Einschnitte.

Geringer, sehr feiner Sandanteil, reduzierend gebrannt, im Bruch hellgrau, Standfläche mittelgrau, überzugartige Oberfläche Innen sowie auf der Außenwandung dunkelgrau und teils metallisch glänzend.

In der Mitte des Standbodens sekundär gebohrtes Loch mit einem Durchmesser von 1.2 cm.

Bdm. 6.5 cm; Bst. 0.5; Wst. 0.35-0.55; erh. H. 5.0.

 

3) Herstellungsspuren

Am Boden Spuren des Abschneidens von der Scheibe, im Gefäßinneren Drehriefen bzw. schräg dazu Wischspuren. Letztere könnten auf den Auftrag einer Schlickerung zurückgehen, die sich durch die im Vergleich zur Standfläche dunklere und glänzendere Farbe von Gefäßinnerem und Wandung andeutet. Für die Furchenverzierung dürfte ein dreieckiger Spatel eingesetzt worden sein, während die senkrechten Einschnitte, die zum Teil recht unsauber ausgeführt sind, offensichtlich von einem jeweils von links geführten Messer stammen.

Feine Aussplitterungen des Bohrlochs auf der Gefäßinnenseite belegen die von der Unterseite ausgehende Bohrrichtung.

4) Datierung

Trotz eines umfangreichen Literaturstudiums konnten zur Verzierung dieses Stücks keine klaren Parallelen entdeckt werden, auch nicht im slowenischen Raum, wobei allerdings angemerkt werden muss, dass zum Beispiel im keramischen Material von der für die Kärntner Chronologie wichtigen Burg Flaschberg bei Oberdrauburg überhaupt keine Becher enthalten sind,[4] die Vergleichsgrundlage also zu wünschen übrig lässt. Für die typologische Einordnung dieser überregionalen Geschirrform muss daher auf Fundkomplexe insbesondere aus Ostösterreich ausgewichen werden.

Die Profilierung des Fragments lässt eine Zugehörigkeit zum von Sabine Felgenhauer-Schmiedt sowie später von Brigitte Cech beschriebenen Typus des Mündel- bzw. Fußbechers mit ausgeprägtem Fuß und gewölbtem Körper vermuten,[5] da sich bei anderen Bechertypen nur in wenigen Einzelfällen ähnlich beschaffene Standfüße finden lassen.[6] Auch Elemente wie der immer wieder leicht aufgewölbte Standboden und das regelmäßige Vorkommen einer oberflächlich dunkelgrauen und im Bruch hellen, feingemagerten Scherbenqualität zeigen Übereinstimmung an.[7] Auf dem Bauch finden sich häufig Gurtfurchen, durchaus auch mit dreieckigem Querschnitt, für eine Furchenverzierung des Fußbereichs existiert eine Parallele allerdings nur auf einem kleinen, nicht näher zuordenbaren zylindrischen Fragment aus Wr. Neustadt, das als weiteren Anknüpfungspunkt angeblich überdies eine Schlickerung aufweist, allerdings keine senkrechten Einschnitte.[8]

Für die chronologische Einordnung von Mündelbechern, die bisher leider nicht als Münzgefäß in Erscheinung traten, wird in der Literatur auf zwei Stücke verwiesen, die im Katalog der Keramischen Bodenfunde Wiens ohne Fundortangabe in das 15. Jh. gestellt wurden, sowie auf einige Exemplare aus dem St. Michaelskarner in Eisenstadt. Letztere wurden von der Bearbeiterin Sabine Felgenhauer-Schmiedt in Kombination des Wissens um Vergleichsfunde von gemündelten Fußbechern von Frankreich bis angeblich Österreich ab dem 14. und vor allem im 15. Jhdt. sowie um die Errichtung des Gebäudes wahrscheinlich im Zeitraum um das Jahr 1504 an das Ende des 15. Jhdts. gesetzt mit der Anmerkung, dass die Lebensdauer und typologische Entwicklung der Form noch nicht eruiert seien. Ohne weitere Belege, solche können allerdings von der Auswertung der Keramik des Augustinerturms in Wien erhofft werden, hat sich die moderne Forschung darauf geeinigt, die in der Regel aus reduzierend grau gebrannter Irdenware mitunter mit metallischem Glanz bestehenden Objekte pauschal in das 15. Jhdt. zu datieren.  Eingegrenzt ist damit natürlich nur der Zeitpunkt der Herstellung im Töpferofen, nicht aber der Durchbohrung. Es ist sowohl denkbar, dass das Gefäß unmittelbar nach dem Brand wegen kleinen Qualitätsmängeln einer anderen Verwertung zugeführt wurde, als auch, dass die Lochung erst nach einer längeren Nutzung als Trinkgeschirr passierte. Letzte Ausprägungen von Bechern aus Keramik  kamen noch bis ins 16. Jhdt. hinein vor, bevor sie von anderen Materialien verdrängt werden. [9]

5) Kulturhistorische Einordnung

Das Fundstück steht in Zusammenhang mit der Vorliebe für eine reichere Ausgestaltung der Tafel im Spätmittelalter, die die gesteigerten Ansprüche der verschiedenen sozialen Schichten, die sich nach unten hin abzugrenzen versuchen, dokumentiert. Mündelbecher dieser Art stammen einerseits vor allem aus dem städtischen bzw. bürgerlichen Milieu (Tulln, Wr. Neustadt, …) – originelle Becherformen waren billiger als etwa prestigeträchtigere Metallgefäße – es lässt sich aber auch noch klar ein anderer Einsatzbereich feststellen. Vollständig erhaltene Exemplare, die zwischen den Knochen in einem Karner zum Vorschein kamen, belegen die Verwendung im sakralen Bereich, sei es für ein Öl-, Trank- oder Blumenopfer. [10] Gefäße mit einem oder mehreren Löchern im Standboden werden als Blumentöpfe angesehen, wobei diese Interpretation auch durch vergleichbare Funde des 18. u. fr. 19. Jhdt. aus Kirchen gestützt wird. Als Blumenbehälter kamen Keramikbecher naturgemäß auch an Orten zum Einsatz, an denen sie ihre primäre Aufgabe zu dieser Zeit schon längst an Geräte aus Glas oder Metall abgegeben hatten.[11]

6) Literatur

INGOLF BAUER  et al., Leitfaden zur Keramikbeschreibung, (Mittelalter-Neuzeit), Terminologie-Typologie-Technologie, Kallmünz 1987.

BRIGITTE CECH, Die Funde aus der spätmittelalterlichen Abfallgrube in Krems, Wegscheid 5. Archaeologia Austriaca 68, 1984, 279-311.

BRIGITTE CECH, Mittelalterliche Keramik aus dem Stadtmuseum in Wr. Neustadt. Archaeologia Austriaca 69, 1985, 251ff.

BRIGITTE CECH, Die mittelalterliche Keramik aus dem Kamptal und dem Horner Becken. Archaeologia Austriaca 71, 1987, 173-302.

BRIGITTE CECH, Mittelalterliche und frühneuzeitliche Keramik aus Tulln, Niederösterreich. Archaeologia Austriaca 73, 1989, 167-221.

SABINE FELGENHAUER-SCHMIEDT, Die keramischen Funde aus dem St. Michaelskarner in Eisenstadt. Burgenländische Heimatblätter 33/3, 1971, 57-71.

SABINE FELGENHAUER-SCHMIEDT, Überblick über die mittelalterliche Keramik aus Wien, in: KERAMISCHE BODENFUNDE AUS WIEN. Mittelalter – Neuzeit, Wien o.J. [1982], 20-24, 37-126.

ELFRIEDE HANNELORE HUBER – KARIN KÜHTREIBER –GABRIELE SCHARRER, Die Keramikformen des Hoch- und Spätmittelalters im Gebiet der heutigen Stadt Wien, sowie der Bundesländer Niederösterreich und Burgenland, in: Werner Endres – Konrad Spindler (Eds.), Beiträge vom 34. Internationalen Hafnerei-Symposium auf Schloß Maretsch in Bozen/Südtirol 2001. Nearchos 12, 2003, 43-66.

ALICE KALTENBERGER, Mittelalterliche und neuzeitliche Keramik vom Martinsfeld, in: 1200 Jahre Martinskirche Linz (799-1999). Kataloge des Oberösterreichischen Landesmuseums n.F. 143, 1999, 95-106.

UWE LOBBEDEY, Untersuchungen mittelalterlicher Keramik vornehmlich aus Südwestdeutschland. Arbeiten zur Frühmittelalterforschung 3, 1968.

HARALD STADLER, Ausgrabungen auf der Burgruine Flaschberg bei Oberdrauburg in Kärnten, mit einem Beitrag von Oeggl, in: Konrad Spindler (Eds.), Flaschberg. Archäologie und Geschichte einer mittelalterlichen Burganlage bei Oberdrauburg in Kärnten. Nearchos 3, 1995, 137-333.


[1] Huber/Kühtreiber/Scharrer 2001, 59 f.

[2] Beschreibung orientiert an Bauer et al. 1978, 55, 90 u. 92 sowie Cech 1987, 189.

[3] Der Begriff wurde adaptiert von Cech 1987, 189, wobei sich die Frage stellt, ob die dort gebrachte Bezeichnung „Gurtfurchenverzierung“ nur im Sinne einer streng horizontalen, gürtelförmig geschlossenen, oder auch für eine spiralige Ausführung – wie sie das hier bearbeitete Stück aufweist – verwendet werden darf. Denkbar wäre aufgrund der deutlich konturierten und rein materialverdrängenden Fertigung auch die  Ansprache als „Rille“, was m. E. aber den flächenfüllenden Charakter der Verzierung zu kurz kommen lässt (Bauer et al. 1978, 90).

[4] Stadler 1995

[5] Felgenhauer-Schmiedt 1971, 60; Cech 1985, 256.

[6] Die „Becher mit konkav geschwungen aufsteigender Wandung“ (Felgenhauer-Schmiedt 1971, 60 u. T1, 6-12) sind etwas weniger ausladend gebaut, während bei den Bechern „mit schwach angedeutetem Fuß, schlankem Körper und Kragenrand“ in förmlicher Hinsicht nur ein einziges Stück, das einen rotgebrannten Scherben besitzt, dem Fragment sehr nahe kommt (Cech 1985, 265, B16). Da letzterer Typ auch reduzierend gebrannt existiert, kann eine Zugehörigkeit nicht komplett ausgeschlossen werden.

[7] Cech 1985, 256 („Ton 1“) mit Bildtafeln B24-B26, B35, B41, B49.

[8] Furchenquerschnitt s. Cech 1985, B26, Fußfragment dies. B 52.

[9] Felgenhauer-Schmiedt 1971, 57-66. Felgenhauer-Schmiedt 1982, 72, Nr. 80 u. 73, Nr. 81; Huber/Kühtreiber/Scharrer 2001, 59 f; Lobbedey 1968, 55 f.

[10] Felgenhauer-Schmiedt 1982, 23 f; Felgenhauer-Schmiedt 1971, 57.

[11] Felgenhauer-Schmiedt 1982, 59, Nr. 47; Kaltenberger 1999, 103.

Download (mit Abb.): 2007 WS BU Mittelalter Maurer Jakob Becherfragment.pdf (680 Downloads)

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